Farbverglasungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts

1979 habe ich über Glasmalerei im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland – insbesondere in bürgerlichen Wohnhäusern – promoviert, obwohl es damals eigentlich ein sehr unglücklicher Zeitpunkt war, um sich in der Bundesrepublik mit einem solchen Thema zu beschäftigen. Nach den gewaltigen Zerstörungen, die dieser fraglos fragilste aller Kunstzweige im Zweiten Weltkrieg besonders schlimm erlitten hatte, ging nun, in der sogenannten Wiederaufbauphase, eine zweite Welle der Vernichtung über einen Großteil der noch verbliebenen bescheidenen Reste hinweg. Das war nicht nur im profanen Bereich so, der hauptsächlich Thema dieses Beitrages ist, sondern gerade auch in kirchlichen Bauten, wo sich noch erstaunlich viele Glasmalereien des angesprochenen Zeitalters erhalten hatten. Mit geschmäcklerischer Begründung wurde hier nur allzuoft zur »Entrümpelung des alten Krams« geblasen.

Im Bereich des privaten Wohnbaus schwappte die Welle des »Umrüstens« noch einmal in den späten 1970er Jahren besonders hoch. Sie wissen vielleicht noch, dass es damals ein unsägliches Förderungsprogramm gab, nämlich das sogenannte Wärmedämmprogramm der Bundesregierung. Während ich damals an meiner Arbeit in Bonn schrieb – das ja weniger schlimm als andere Städte Deutschlands kriegszerstört
war, konnten Herr Haberey und ich dort noch etliche sehr schöne Farbverglasungen aus der Zeit um 1900 sehen und fotografieren. Es passierte jedoch immer wieder, dass ich nach einer Vorbesichtigung zum zweiten oder dritten Mal in ein Haus kam und es dann hieß: »Wenn Sie das Fenster noch mal sehen wollen, da unten im Container liegt es. Wir haben Dank staatlicher Zuschüsse wunderbare neue Plastikfenster bekommen. Die Bleiverglasungen konnte uns niemand einbauen. Es ist zwar schade drum, aber wir können es jetzt nicht ändern«. Mir blieb dann nur noch, den zerborstenen Resten unten im Abfallbehälter nachzutrauern.

In den 1980er und 1990er Jahren wuchs zwar nach und nach die Sensibilität für den Wert historischer Innenausstattungen, doch ist das Thema »Glasmalerei« auch im heutigen Restaurierungswesen nach wie vor eine weitgehend unbekannte Größe. Ich nutze hier gern die Möglichkeit, es Ihnen, die Sie als Fensterbauer ja sicherlich ab und zu das Glück haben, im Rahmen von Auftragsverhandlungen auf das eine oder andere schöne Beispiel von Glasmalereikunst zu stoßen, etwas näherzubringen. Es ist ein zweifellos interessantes Thema, hat es doch Zeiten gegeben, in denen ein annehmliches Wohnen ohne die Einbeziehung dieser Kunstgattung kaum vorstellbar war. Wie es dazu kam, versuche ich in aller gebotenen Knappheit zu erläutern.

Lassen Sie mich zurückgehen in eine Zeit, in der Glasmalerei nicht sehr hoch im Kurs stand, nämlich in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als Kronzeugen für diese Zeit möchte ich J.C. Harrepeter anführen, der 1779/80 das Buch des Glasmalers Pierre Le Vieil in deutscher Sprache in zwei »Theilen« in Nürnberg herausgab: »Die Kunst auf Glas zu malen und Glaserarbeiten zu verfertigen«: »Die Glasmalerei gehört vorzüglich unter die Künste, die ehemals stark getrieben, hochgeschätzt, reichlich bezahlt, aber auch nachgehends so vernachlässigt und gering geachtet wurde, daß man sie billig für eine verlorene und erstorbene Kunst halten könnte«. Diese knappe Feststellung trifft den Zeitgeist genau.

Die im Zeitalter des Barock und Rokoko üblichen Vorstellungen über die Funktion von Verglasungen – sie sollten möglichst hell sein und somit als Lichtquellen für illusionistisch- plastische Stuck- und Malereidekorationen dienen – hatten nicht nur zu einem Rückgang des Glasmalereigewerbes geführt, sondern auch den Wunsch nach »Aufhellung« mittelalterlicher (bevorzugt kirchlicher) Räume mit sich gebracht. Die Konsequenz war oftmals ein Ausbauen der eher dunkeltonigeren mittelalterlichen Farbverglasungen und das Ersetzen durch helltonige.

Wenig später, im frühen 19. Jahrhundert, wurden in den von französischen Revolutionären besetzten deutschen Gebieten im Zuge der Säkularisation (Aufhebung des kirchlichen Besitzes) neben vielen Kirchenbauten auch die dazugehörigen Glasmalereien »überflüssig«. Nicht einmal annähernd ist rekonstruierbar, was an alten Kunstwerten diesem staatlichen Verwaltungshandeln zum Opfer fiel. Köln kann als beredtes Beispiel dienen. Die alte Freie Reichsstadt mit ihrem damals noch recht stolzen mittelalterlichen Erbe – unter anderem reich ausgestattet mit kostbaren alten Glasmalereien – erlebte im Gefolge der Aufhebung der Stifte und Klöster eine kulturelle Ausdünnung, die bislang ohne Parallele war. Bei der Ausräumung der nun zum Abbruch freigegebenen Gebäude wurden achtlos auch die Glasmalereien auf die Straße geworfen.

In einigen Fällen wurden freilich Altwarenhändler aktiv, die gegen geringes Entgelt bei Bauhandwerkern einen immerhin vorsichtigen Ausbau erreichen konnten. Zwar ist mit diesen »Rettungsaktionen« ein bitterer Beigeschmack verbunden, doch blieben durch den Verkauf an Sammler einige bedeutende historische Glasmalereien Kölns immerhin erhalten – an irgendwelchen Orten, wo sie als kuriose Antiquitäten in Innenräume integriert wurden. Neben Kölner Sammlungen, deren Bestände später meist in alle Welt verstreut wurden, wurden sie bevorzugt nach England exportiert. Um 1805 kreisten englische Sammler, die den Wert mittelalterlicher Glasmalereien bereits vor 1800 erkannt hatten, wie Motten um das Licht, das hier Köln hieß. Als Sammler von »Alterthümern« organisierte der Kölner Stadt- und Kunstgelehrte, Mediziner und Rektor der untergegangenen Universität Ferdinand Franz Wallraf (1748– 1824) eine bemerkenswerte Rettungskampagne für die noch vorhandenen »herrenlosen« alten Glasmalereien in der Stadt. Er erreichte, dass sie im ehemaligen Jesuitenkloster zwischengelagert wurden. Einen Großteil davon stellte Wallraf dem Dom zum Einbau anstelle von hier verlorengegangenen Verglasungen selbstlos zur Verfügung; Fragmente wurden auch zur Reparatur alter Glasmalereien benutzt. Doch für derartige Aktionen waren Praktiker gefragt – und an denen mangelte es, da der Beruf des Glasmalers in jener Zeit aus den obengenannten Gründen zu den eher »brotlosen« rechnete.

Thema
Autor
Dr. Johannes Ralf Beines
Datum
24.05.2016 - 13:47