Eine kleine Glaskunde unter Berücksichtigung farbiger, geschliffener Überfangscheiben

Sie erinnern uns an unsere Kindheit, diese farbigen kleinen Scheiben, in den Sprossenfenstern alter Häuser. Die erste Fertigung dieser Scheiben, die als Friesenecken, Überfanggläser oder auch Gernheimer-Scheiben bekannt geworden sind, fand in den Glashütten des frühen 19. Jahrhunderts statt. Sie wären in unserem Kulturraum unbekannt geblieben ohne den Glaser, der sie einsetzte, und ohne den Tischler, der den Sprossenrahmen herstellte.

In Bürgerhäusern des frühen 19. Jahrhunderts wurden Überfanggläser wahrscheinlich zuerst im Flur- und Eingangsbereich eingebaut. Später sind sie auch in Bauernhäusern zu finden. Dort wurden sie bei der Errichtung einer Zwischenwand vom Ende der »Deele« zum »Fleet« oder »Kammerfach« verwendet. Oft finden wir sie auch rechts und links der Türen im Innenbereich der Deele zur Wohnung. Bekannt sind sie auch mit eingeschliffenem Namen der Hausbesitzer, diese Scheiben werden »Hochzeitsscheiben« genannt. Der Vater ließ als Vermählungsgeschenk in der Glashütte eine Scheibe mit dem Geburtsnamen (Mädchennamen) seiner Tochter anfertigen. Am großen Deelentor standen die eingearbeiteten Namen aus alter Zeit, die konnten nicht mehr verändert werden. Wenige dieser sogenannten Hochzeitsscheiben aus Gernheim sind überliefert, in meiner Heimat an der Weser sind sie selten geworden. Sie sind aber auch in den Fenstern der Bauernhäuser zu finden.

In den Innenraumfenstern der Bauernhäuser sind die schmückenden Fenster mit der veränderten Lebenskultur in den Häusern verbunden. Man durchtrennte die Deele mit der sogenannten Fleetwand und schaffte so einen neuen Wohnraum mit Flur, Köken, Kammerfach und guten Stuben. Der Blick auf die Deele sollte aber durch Fenster, meistens rechts und links der oft doppelflügeligen Tür, die ebenfalls mit Sprossenscheiben geschmückt war, erhalten bleiben. Zu dieser Zeit verlangte es den Bewohnern eines Bauernhauses nach der deutlichen Trennung von Tier und Mensch, aber gleichzeitig wollten sie immer noch unter denselbem Dach leben. So kam es zur offenen Deele mit einem angrenzenden, abgeschlossenen Wohnbereich.

Thema
Autor
Friedrich-Wilhelm Korff
Datum
24.05.2016 - 11:36